

08. November 2012 |
Fall 1: Cross-Border Mediation in einem Unternehmen Fall 2: Cross-Border Mediation in einer Familie Fall 1: Cross-Border Mediation in einem Unternehmen 1. SachverhaltDas Ludwigsburger Maschinenbauunternehmen Baierle, Familienbetrieb in dritter Generation, arbeitet seit Beginn der 90er Jahre eng mit dem in Eger/Ungarn ansässigen Unternehmen EGV zusammen. Die ursprünglich wesentlich niedrigeren Lohnkosten und die EU-Fördermittel machten das Engagement in Ungarn sehr attraktiv. In den letzten Jahren sind verschiedene Probleme aufgetreten, die zu Produktionsausfällen und einem Imageschaden bei Abnehmern geführt haben. Klaus Baierle sieht die Ursachen dafür hauptsächlich in der unterschiedlichen Unternehmenskultur. In den ersten Jahren hatte er ein geradezu freundschaftliches Verhältnis zu dem Leiter des ungarischen Partners EGV; nach einem Wechsel in der Geschäftsführung muss er mit Viktor Varosi zusammenarbeiten, einem erfahrenen Ingenieur, dem aber nach Baierles Ansicht jeglicher unternehmerischer Geist fehlt. Am liebsten würde Klaus Baierle die Zusammenarbeit mit EGV beenden, was wegen vielfältiger Verflechtungen nicht so einfach – wenn überhaupt – möglich ist, zumal die Rückzahlung erheblicher Fördermittel droht. Die mit der Prüfung eines Ausstiegszenarios beauftragte Stuttgarter Anwaltskanzlei sieht in den zwischen den beiden Partnern abgeschlossenen Verträgen keinen überzeugenden Weg aus diesem Dilemma. Es kommt die Idee einer Mediation auf. Als Klaus Baierle bei einem Arbeitstreffen Viktor Varosi eine Mediation vorschlägt, ist dieser damit grundsätzlich einverstanden, besteht aber darauf, dass diese in Ungarn stattfinden müsse. Ziel der Mediation soll nach dem Wunsch beider Parteien entweder die Beendigung der Zusammenarbeit oder aber die Schaffung einer neuen Arbeitsebene sein. Beide Konfliktparteien wollen jeweils einen Mediator vorschlagen; diese sollen dann in Co-Mediation in Eger arbeiten. Die Anwälte von Klaus Baierle empfehlen einen bekannten Wirtschaftsmediator aus Stuttgart, der grundsätzlich bereit ist, dieses Mandat zu übernehmen. Viktor Varosi benennt einen Mediator aus Budapest, der mit seinem deutschen Kollegen in Co-Mediation zusammenarbeiten will. 2. FragestellungenSoweit eine ganz normale Anbahnung einer Mediation. Wäre dies ein Konflikt zwischen zwei in Deutschland ansässigen Betrieben, würden sich die beiden Co-Mediatoren jetzt abstimmen, wie sie vorgehen und wann sie mit wem und in welcher Weise die Vorgespräche führen wollen, sie würden sich über ihre bisherigen Erfahrungen und ihre Ausbildung austauschen etc. Aber wie geht das mit einem Mediator in Ungarn? Wie sind die Mediatoren dort ausgebildet? Arbeiten sie eher prozess- oder lösungsorientiert? Klaus Baierle weiß durchaus, wie eine Mediation in Deutschland »funktioniert«. Aber in Ungarn? Was erwartet ihn, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten, wie ist sichergestellt, dass seine Interessen und Bedürfnisse in vollem Umfang berücksichtigt werden? Auch seine in Stuttgart ansässigen Anwälte sind gefordert: Wie lauten die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen einer Mediation in Ungarn? Kann der deutsche Mediator, der im Grundberuf Coach und ehemaliger Banker, aber kein Jurist ist, überhaupt in Ungarn arbeiten? Was muss ein Mediatorvertrag enthalten um den Mandanten bestmöglich abzusichern? Und wie ist eine mögliche abschließende Vereinbarung zu gestalten? 3. LösungKlaus Baierle und Viktor Varosi haben mit dem ungarischen und dem deutschen Mediator in Eger an einer Mediation teilgenommen. Nach ersten getrennten Sitzungen haben sie sich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen auf ein Ergebnis geeinigt, das wie folgt skizziert werden kann: Beide Firmen werden weiter zusammenarbeiten, wenngleich auch einige Produktionsschritte verändert werden müssen. Neben wöchentlichen Telefonkonferenzen werden regelmäßige Arbeitstreffen verabredet. Diese Arbeitstreffen finden wechselnd in Ungarn und Deutschland statt; bei Bedarf sind innerbetriebliche Mitarbeiter an diesen Treffen zu beteiligen. Das nächste Arbeitstreffen findet in zwei Monaten in Ludwigsburg statt, und zwar mit Begleitung der beiden Mediatoren. Viktor Varosi hatte an den beiden Mediationstagen Gelegenheit, seinen deutschen Partner kennen und verstehen zu lernen, die von Verantwortung und Gestaltungswillen geprägte Sichtweise dieses seit Generationen mit seiner Firma verbundenen Klaus Baierle zu erfahren. Und umgekehrt konnte Klaus Baierle erleben, was für einen klugen und geschickten Leiter die ungarische Partnerfirma EGV in Viktor Varosi hatte. Beide haben sich anlässlich der Mediation nicht nur über Sachthemen sondern auch persönlich ausgetauscht, mit ihren interessanten aber doch sehr unterschiedlichen Biografien und mit dem Willen, das gemeinsame Projekt erfolgreich fortzusetzen.
Fall 2: Cross-Border Mediation in einer Familie 1. SachverhaltClaudia, 33 Jahre alt, von Beruf Industriekauffrau, hat bisher bei Siemens in Deutschland und den USA gearbeitet und ist jetzt im Bereich Healthcare bei Siemens in Irland tätig. Sie verliebt sich in Ian, der 38 Jahre alt ist und ebenfalls bei Siemens in Dublin arbeitet. Sie werden ein Paar und nach einem halben Jahr wird Claudia schwanger. Ian freut sich auf das Kind, möchte Claudia heiraten und plant mit ihr die Zukunft als Familie. Claudia möchte erst mal abwarten, wie sie das alles mit dem Kind »hinbekommt«, sie würde gerne so bald wie möglich nach der Entbindung wieder arbeiten und hat große Angst, ihre gerade begonnene Karriere zu gefährden. Zur Geburt reist Claudia in ihre Heimatstadt Oldenburg, wo im März 2011 der gemeinsame Sohn Alexander geboren wird. Nach drei Wochen reisen Mutter und Sohn nach Irland zu Ian und die junge Familie wächst mit großer Freude am kleinen Sohn zusammen. Als Alexander ein Jahr alt wird, möchte Claudia – wie verabredet – wieder ihre Arbeit bei Siemens aufnehmen. Ian aber würde gerne weitere Kinder haben und spricht häufig über seinen Wunsch zu heiraten. Ein weiteres Kind aber scheint für Claudia mit der Fortsetzung ihrer Berufstätigkeit nicht vereinbar zu sein. Claudia nimmt ihre Arbeit also wieder auf, was neben der Versorgung von Alexander nicht einfach ist, zumal Ian sehr viel arbeitet und wenig Zeit für die Familie aufbringen kann. Beide streiten häufig über die Gestaltung des Alltags. Ian spricht immer wieder von einem weiteren Kind, was Claudia zunehmend als lästig empfindet; schon mit einem Kind und ohne Entlastung durch den Vater fühlt sie sich überlastet. Im Sommer fährt die ganze Familie nach Deutschland, zuerst sind sie zu dritt auf einer ostfriesischen Insel, anschließend ist Claudia noch allein mit Alexander bei ihren Eltern in Oldenburg. Sie findet das Leben ohne den von ihr als drängelnd empfundenen Ian so viel angenehmer, dass sie bei Siemens in Bremen nachfragt, ob man vielleicht eine Stelle für sie habe. Und in der Tat: für den Bereich Healthcare wäre sofort eine Stelle frei. Claudia bespricht sich mit ihren Eltern, die sich rührend um Alexander kümmern – und sie entschließt sich, nicht nach Dublin zu Ian zurückzukehren. Erst nachdem sie voller Freude ihren neuen Arbeitsvertrag unterschrieben und das Arbeitsverhältnis in Dublin kurzerhand per E-Mail gekündigt hat, informiert sie Ian über ihre Schritte. Als Ian am Telefon von Claudias Plänen hört, ist er schockiert und fragt einen irischen Anwalt, einen Freund der Familie, um Rat. Dieser vermittelt einen Kontakt zur irischen Zentralen Behörde, die sich wiederum an die deutsche Zentrale Behörde in Bonn wendet. Claudia wird schriftlich auf die Rechtswidrigkeit des Zurückhaltens hingewiesen und aufgefordert, freiwillig mit Alexander nach Dublin zurückzukehren. Andernfalls werde man bei dem zuständigen Amtsgericht Celle einen Antrag auf Rückführung stellen. Dem Schreiben beigefügt sind Informationen über die Möglichkeit einer Mediation mit der Nennung des gemeinnützigen Vereines MiKK (Mediation bei internationalen Kindschaftskonflikten) als Ansprechpartner für die Mediation. Claudia lässt sich erst einmal anwaltlich über ihre Situation beraten und ihre Anwältin bestätigt die Rechtsansicht der Zentralen Behörde, dass die gerichtliche Anordnung einer Rückführung des Kindes Alexander wahrscheinlich ist. Im Rahmen einer Mediation könne vielleicht mehr erreicht werden als in einem gerichtlichen Verfahren, zumal es ja auch um die grundsätzliche Frage gehe, ob es noch eine Chance für das Paar gäbe, wie eine mögliche Trennung und die Kontakte von Ian zu seinem Sohn und die finanziellen Aspekte zu gestalten seien. Claudia ist unentschlossen und fürchtet den Kontakt mit ihrem Arbeitgeber in Dublin, dem sie ja gekündigt hat. Nach gut einer Woche beantragt die Zentrale Behörde beim Familiengericht Celle die Rückführung des Kindes Alexander nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ). Die Richterin setzt einen Termin zur Anhörung der Eltern innerhalb des gesetzlichen 6-Wochen-Rahmens an. Claudia fragt jetzt bei dem Verein MiKK telefonisch an, wie die von der Zentralen Behörde angeratene Mediation ablaufe. Nach Bestätigung von Ian, dass er auch an einer Mediation interessiert sei, wird ein deutsch-irisches Co-Mediatorenpaar gefunden, eine irische Mediatorin und ein deutscher Mediator, beide für solche grenzüberschreitenden Familienmediationen besonders ausgebildet und bereit, die Mediation gemeinsam durchzuführen. Die Mediation wird wenige Tage vor dem Gerichtstermin für zwei ganze Tage angesetzt. 2. FragestellungenDie Anbahnung dieser grenzüberschreitenden Familienmediation unterscheidet sich von der zuvor geschilderten Wirtschaftsmediation u.a. dadurch, dass es in Europa bereits ein hervorragend ausgebildetes Netzwerk von 140 Mediatorinnen und Mediatoren gibt, die in 28 Sprachen arbeiten, nach gleichen Grundsätzen ausgebildet sind und für derartige Verfahren zur Verfügung stehen http://www.mikk-ev.de/deutsch/mediatorenliste und http://www.crossbordermediator.eu . Gleichzeitig gelten die gleichen Fragestellungen wie im vorherigen Fall: Ian weiß durchaus, wie eine Mediation in Irland »funktioniert«. Aber in Deutschland? Was erwartet ihn, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten, wie ist sichergestellt, dass seine Interessen und Bedürfnisse in vollem Umfang berücksichtigt werden? Auch sein in Dublin ansässiger Anwalt ist gefordert: Wie lauten die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen einer Mediation in Deutschland? Kann die irische Mediatorin überhaupt in Deutschland arbeiten? Was muss ein Agreement to mediate beinhalten, um den Mandanten bestmöglich abzusichern? Inwieweit ist die Tatsache bedeutsam, dass in Irland das Common Law, in Deutschland hingegen das sog. Civil Law gelten? Und wie ist eine mögliche abschließende Vereinbarung zu gestalten? 3. LösungAn zwei aufeinanderfolgenden Tagen haben die irische Mediatorin und der deutsche Mediator mit Claudia und Ian in Oldenburg eine Regelung erarbeitet. Claudia wird mit Alexander zunächst einmal nach Dublin zurückkehren. Beide Eltern werden in Dublin eine Paarberatung oder Familientherapie aufsuchen; die irische Mediatorin hat entsprechende Kontakte vermittelt und zwei Vorgespräche wurden bereits telefonisch vermittelt. Sollten Ian und Claudia zu dem Schluss kommen, dass sie sich dauerhaft trennen, dann wollen beide die Mediation in Dublin fortsetzen. Ian hat zugesichert, dass er im Falle des Scheiterns der Paartherapie gegen einen Umzug von Claudia nach Deutschland nichts einzuwenden habe, sofern er einen regelmäßigen Kontakt zu seinem Sohn hat. Claudia ihrerseits hat dazu versichert, dass sie mit Alexander mindestens 1 Mal pro Quartal auf ihre Kosten nach Irland reisen werde und dass Ian jederzeit nach Deutschland zu seinem Sohn kommen könne. Auch seien Urlaube von Vater und Sohn möglich; die Einzelheiten dazu wären noch zu vereinbaren. Die Arbeitssituation von Claudia in Dublin ist noch nicht geklärt; sie hat bisher lediglich einen Gesprächstermin mit dem Personalleiter vereinbaren können. Sie ist aber optimistisch, dass man sie »schon wieder nehmen werde«. Ian sichert zu, Claudia finanziell in Dublin zu unterstützen, falls sich das Arbeitsverhältnis bei Siemens nicht wieder beleben lasse. Sollten sich Ian und Claudia doch endgültig trennen, dann sollen die irische Mediatorin und der deutsche Mediator in Dublin die Mediation fortsetzen; Claudia und Ian haben zu beiden ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, an das sie anknüpfen möchten. Die Anwälte werden angewiesen, bei Gericht das Ruhen des Verfahrens zu beantragen. Sobald Claudia mit Alexander nach Irland zurückgekehrt ist, soll der Antrag beim Amtsgericht Celle zurückgenommen werden. Mediation aktuell als Helfer in Fällen grenzüberschreitender Mediation durch Bereithaltung nützlicher Online-Informationen Mediation findet »im Schatten des Rechts« statt. Eine profunde Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen ist erforderlich, um sicher nach Lösungen für den Konflikt zu suchen. Und gleichermaßen erfordert das Gebot der Informiertheit Kenntnisse über den Ablauf einer Mediation in dem jeweiligen Land. Ein Unternehmer mit großer Verantwortung für seine Entscheidungen muss genauso informiert und sicher in die Mediation in einem anderen Land gehen können wie die Eltern, die fürchten müssen, ihr Kind »zu verlieren«. Recherchen im Internet sind natürlich möglich, sie sind aber ausgesprochen aufwändig und bergen die Gefahr, dass die darin genannten Informationen nicht mehr aktuell sind. Seit Kurzem bieten wir eine Online-Veröffentlichung an, die genau diese Informationslücke umfassend schließt: Diese Online-Publikation enthält Mediationsgesetze sowie sonstige einschlägige gesetzliche Regelungen ausgewählter Länder. Nationale Methoden der Mediation, Gesetzgebung und besondere Charakteristika des Mediationsverfahrens in den jeweiligen Ländern werden exemplarisch dargestellt. Zusätzlich enthält jeder Länderbericht Kontaktadressen und bibliografische Hinweise. Diese Länderberichte sind sowohl in der jeweiligen Muttersprache als auch auf Englisch und teilweise auch auf Deutsch verfasst. Bisher sind die Länderberichte für Bulgarien, Irland, Italien, Österreich, Polen und Ungarn verfügbar, alle weiteren Länder werden nach und nach ergänzt. Die Berichte der Länder Belgien und Spanien stehen derzeit kurz vor der Veröffentlichung. Eine Besonderheit dieser Veröffentlichung ist die Gewährleistung der Aktualisierung der Länderberichte durch verantwortliche Autoren in den jeweiligen Ländern. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die beiden oben skizzierten Fälle?Klaus Baierle, seine Stuttgarter Anwälte und der deutsche Mediator können in unserer o.g. Online-Publikation den Länderbericht für Ungarn erwerben und damit alle Informationen erhalten, die sie benötigen. Auch Ian und sein irischer Anwalt und ebenso die irische Zentrale Behörde können den Länderbericht Deutschland buchen und sich umfangreich informieren. Und sollte die Mediation z.B. in Dublin fortgesetzt werden, dann wäre es für die Oldenburger Anwältin von Claudia möglich, den Länderbericht Irland zu erwerben und damit für alle Fragen in Irland kompetent beraten zu können. Mit der Kenntnis der Rahmenbedingungen und nach darauf beruhender fachlicher Beratung können sowohl der Ludwigsburger Unternehmer als auch der irische Vater gelassener die Mediation beginnen, sie können sich auf die Inhalte konzentrieren und die in dem jeweiligen Land bestehenden Maßgaben zur Erarbeitung einer Regelung für ihren Konflikt optimal nutzen. |