

20. Juli 2020 |
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Konflikte sind manchmal wie die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs. Erfahrene Mediatoren/-innen wissen, dass sich andere Probleme darunter verbergen. In diesem Beitrag wird deutlich, inwiefern ein gesundheitsgerechter Führungsstil hilft, entstehende Konflikte im Vorfeld zu entschärfen und gerade in Krisensituationen dazu beiträgt, dass Mitarbeitende in Arbeitsbereichen gesund und leistungsfähig bleiben. Ergänzend zu anderen Führungskonzepten ermöglicht die gesunde Führung die Weiterentwicklung von Meta-Kompetenzen, die indirekt auch die soziale Gesundheit in Teams fördert. Das Modell der Schlüsselfaktoren gesunden Führens gibt konkrete Hinweise, worauf Führungskräfte achten können, wenn sie gesünder führen möchten, um Krisen besser zu bewältigen und Konflikten vorzubeugen.
Inhalt
1. Wenn der Change krankmachtEin Fall aus der Praxis: Rita Schmidt leitet seit fünfzehn Jahren das Controlling einer Bank, die gerade mit einem anderen Bankhaus fusioniert. Seit Beginn dieses Change-Prozesses fallen für sie jede Woche mindestens 10 Überstunden an, die zusätzliche Arbeit am Wochenende nicht mitberechnet. Ihr neuer Vorgesetzter scheint dies nicht zu interessieren und Rita fühlt sich mehr und mehr alleingelassen mit dieser Mehrarbeit. Es dauert nicht lang, bis gesundheitliche Probleme hinzukommen: Hoher Blutdruck, Schlafstörungen und jetzt auch noch Tinnitus. Ihren Chef hat sie noch gar nicht richtig kennengelernt; insofern kommt er als Ansprechpartner in dieser Belastungssituation nicht in Frage. Darüber hinaus scheint er froh zu sein, wenn ihn möglichst niemand anspricht, denn auch er hat sehr viel zu tun. Aufgrund der Dauerbelastung wird Rita ihren Mitarbeiter*innen gegenüber ungeduldiger als sonst. Als eine ihrer Mitarbeiterinnen sich wegen Stress krankmeldet und monatelang ausfällt, wird Rita regelrecht wütend. Es erscheint ihr unerträglich, anzusehen, dass die Kollegin sich ausklinkt, während sie weiter die Zähne zusammenbeißt und durchhält. Als ihre Mitarbeiterin nach drei Monaten Arbeitsunfähigkeit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren möchte, sind Eingliederungsgespräche geplant. Rita weigert sich, mit ihrer Mitarbeiterin einen Termin zu vereinbaren. Jetzt erst fällt die sonst so zuverlässig und unkomplizierte Abteilungsleiterin auch ihrem Chef auf. Er schaltet die Personalabteilung ein, die eine Mediation mit der Mitarbeiterin vorschlägt. Im Rahmen eines Vorgesprächs öffnet sich Rita der Mediatorin. Anstelle der Mediation schlägt sie ein Gesundheits-Coaching für Rita Schmidt und weitere Maßnahmen zur Neu-Stabilisierung des völlig überlasteten Arbeitsbereichs vor.
2. Die Führungskraft der Zukunft führt gesundDas Praxisbeispiel zeigt deutlich, wie wichtig es ist, gesundheitsförderliche und entlastende Maßnahmen im Blick zu behalten, wenn es in einem Arbeitsbereich zu Konflikten kommt. In diesem Beitrag möchte ich außerdem zeigen, wie ein gesundheitsgerechter Führungsstil Belastungsphasen und die daraus resultierenden Konflikte reduzieren und manchmal auch abbauen kann. Die Situation in der Bank ist auch deswegen typisch, weil im Change-Prozess vorrangig die strukturellen Veränderungsprozesse begleitet wurden. Aspekte der Zusammenarbeit und der betrieblichen Gesundheit wurden vernachlässigt. Das rächt sich oft, am Ende hat das Unternehmen draufgezahlt, denn entstehende Ausfallkosten aufgrund psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sind höher als man denkt. Die folgende Abbildung zeigt, in welchem Ausmaß die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen und psychischer Belastungen in den letzten Jahren gestiegen sind. Quelle: AOK-Fehlzeitenreport 2019
Diese Abbildung beschreibt die Fehlzeitenentwicklung nach Krankheitsarten. Die Index-Darstellung lässt deutlich erkennen, dass die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen seit 2008 gestiegen sind, und zwar insgesamt um 67 Prozent. Im Grunde steigt die Zahl der AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen schon seit 2001. Die Begründungen sind vielfältig. Experten sprechen von einem gesellschaftlichen Wandel, der ausgehend von der Globalisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt unser Leben immer mehr beschleunigt. Der Wandel beeinflusst die Art und Weise, wie wir Beziehungen führen und infolgedessen sind wir u.a. anfälliger dafür, psychisch belastet zu reagieren. Doch die Fehlzeitenstatistik lässt noch eine andere Interpretation zu: Experten betonen, dass die Bereitschaft, sich offen zu psychischen Erkrankungen zu bekennen, deutlich gestiegen sei. Psychisch krank zu sein ist seltener als noch vor Jahrzehnten in unserer Gesellschaft tabuisiert. Demnach diagnostizieren auch mehr Ärzte als früher eine psychische Erkrankung. Weiterhin geht man davon aus, dass Allgemeinmediziner aufgrund einer verbesserten medizinischen Ausbildung schneller eine psychische Erkrankung oder Belastung diagnostizieren können als früher. Statistisch gesehen sind vor allem ältere Mitarbeiter*innen von psychischen Erkrankungen betroffen. Betrachten wir die unterschiedlichen Branchen, fällt auf, dass das Gesundheits- und Sozialwesen mit 15,5 Prozent und die Öffentliche Verwaltung mit 14,4, sowie Erziehung und Unterricht mit 14,0 Prozent Fehlzeitenquote „Psychische Erkrankung“ am häufigsten betroffen sind (Quelle: Fehlzeitenreport 2019). Viele wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der gesundheitsfördernde Führungsstil signifikant dazu beiträgt, die Gesundheit von Mitarbeitenden zu stärken und psychische Belastungsreaktionen zu reduzieren. Die Resulead-Studie (Rewarding and sustainable health promoting leadership) von Rigotti, Holstad, Mohr, u.a. aus dem Jahr 2012 hat in punkto Gesunde Führung folgende Ergebnisse herausgearbeitet:
2018 hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) eine weitere Studie durchgeführt, die sich mit Aspekten von psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt befasste. In dieser Studie konnten konkreter Aussagen zu gesundheitsförderndem Führungsverhalten formuliert werden:
Demnach subsummieren sich unter dem Begriff Gesunde Führung Verhaltensweisen von Führungskräften, die auch als kooperierend, wertschätzend und Feedback-gebend bezeichnet werden. In der Management-Literatur wird dieser Ansatz seit Jahren als transformationaler, bzw. kooperativer-mitarbeiterorientierter Führungsstil bezeichnet. In Anlehnung an den Ansatz der Salutogenese und das Konzept der Kohärenz von Aaron Antonovsky habe ich ein Modell des gesunden Führens erarbeitet, dass sich auf die Grundlagen der Salutogenese bezieht.
3. Schlüsselfaktoren gesunder Führung
Das Modell der Kohärenz beschreibt allgemeine Faktoren, die zur Gesunderhaltung im Leben eines Menschen beitragen: 3.1 VerstehbarkeitDieser Aspekt ist Bestandteil des Kohärenz-Modells von Antonovsky und meint zunächst das Gefühl, die Welt um sich herum und das, was tagtäglich geschieht, zu verstehen, Erklärungsmodelle für Erlebnisse und Ereignisse zu besitzen und sie in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können und daraus die Sicherheit zu schöpfen, dass das Leben Kontinuität besitzt und einigermaßen berechenbar ist. Bezogen auf den Arbeitsplatz ist damit gemeint, das unmittelbare Umfeld, bestehend aus Arbeitsanweisungen, Arbeitsaufgaben, Prozessketten und weitere Rahmenbedingungen und – bezüge kognitiv und emotional zu verstehen und für sich selbst stimmig einordnen zu können. Verstehbarkeit am Arbeitsplatz entsteht, wenn Führungskräfte klar und transparent kommunizieren, wenn Hintergrundinformationen weitergeleitet werden und der übergeordnete Zusammenhang eines Produkts oder einer Produktion verdeutlicht wird. 3.2 HandhabbarkeitDieser Aspekt ist ebenfalls Bestandteil des Kohärenz-Modells nach Antonovsky und meint das Vertrauen darauf, alles, was einem im Leben begegnet, auch Krisen und Katastrophen bewältigen zu können. Dieses Selbstvertrauen beruht zum Teil auf der Erfahrung in der Vergangenheit schon schwierige Situationen bewältigt zu haben und dass auch anschließend wieder bessere Zeiten kommen werden. Bezogen auf den Arbeitsplatz ist damit gemeint, Arbeitsmittel und Fähigkeiten nutzen zu können, um die täglichen Herausforderungen des eigenen Arbeitsplatzes bewältigen zu können und erfolgreich zu sein. Handhabbarkeit am Arbeitsplatz entsteht, wenn Führungskräfte darauf achten, dass ihre Anweisungen umsetzbar und leistbar sind und wenn sie die Kompetenzen und Ressourcen ihrer Mitarbeitenden realistisch im Blick behalten. 3.3 HandlungsfreiheitDieser Aspekt wurde in zahlreichen Untersuchungen als besonders relevant hervorgehoben, wenn es um den Zusammenhang mit hohen Anforderungen geht. Karasek hatte als erster mit dem Demand-Control-Modell bewiesen, dass hohe Anforderungen nur dann belastend sind, wenn gleichzeitig der Handlungsspielraum verkleinert wird. Immer dann, wenn Führungskräfte in einer angemessenen und auf den Mitarbeitenden individuell zugeschnittenen Art und Weise Handlungs- und Spielräume offenlassen, die autonom gestaltet werden können, geraten Mitarbeitenden weniger unter Stress. 3.4 VerbundenheitAuch dieser Aspekt hat im Rahmen zahlreicher Studien an Bedeutung gewonnen (u.a. Gallup-Studie zum Engagement-Faktor). Hier wird herausgestellt, dass Mitarbeitende, die sich mit ihrem Team, ihrem Arbeitsbereich oder ihrer Organisation verbunden fühlen, motivierter arbeiten und psychisch gesünder sind. Verbundenheit entsteht auch, wenn Personen in ihrem Arbeitsumfeld soziale Unterstützung durch Kolleg*innen oder Führungskräfte erfahren. 3.5 SinnhaftigkeitDieser Aspekt ist ebenfalls Bestandteil des Kohärenz-Modells nach Antonovsky und meint die Überzeugung, dass das eigene Leben einen Sinn, einen Wert hat, der Offenheit und Anteilnahme ermöglicht. Gemeinschaftsgefühle mit anderen Menschen und Interesse an Dingen sind Voraussetzung dafür, um sich Ziele setzen zu können, die man gerne erreichen möchte. Diese Überzeugung gründet sich auf dem Gefühl, selbst Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst und das einem Halt und Sicherheit gibt, zum Beispiel religiöse oder spirituelle Vorstellungen, aber auch eine bestimmte Ethik, Moral, Einstellung usw. Bezogen auf den Arbeitsplatz entsteht Sinnhaftigkeit, bzw. Sinnerleben, wenn die Schlüsselfaktoren Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Handlungsfreiheit und Verbundenheit gewährleistet sind. Sinnhaftigkeit ist systemisch gesehen immer etwas, dass individuell und rein subjektiv entsteht und nicht von außen vorgegeben werden kann.
(In der Fortsetzung –Teil 2– dieses Beitrags erfahren Sie, wie das Kohärenz-Modell der Salutogenese durch die Wirkungskraft der Faktoren Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Handhabbarkeit vielfältige psychische Gesunderhaltungsprozesse in Gang gesetzt werden können und welche Rolle dies für die Schlüsselfaktoren gesunden Führens hat,)
Autorin Ute Zander-Schreindorfer ist Diplom-Psychologin, Mediatorin (BM-Lizenz). Systemische Organisationsentwicklerin (DGSF) und Gesundheits-Coach. Sie berät Unternehmen und Organisationen (GIZ, Lufthansa Technik, Auswärtiges Amt) bei der Entwicklung von Führungskonzepten, u.a. zur Gesunden Führung und zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Sie ist Geschäftsführerin der ZS Consult GmbH und des istob-Zentrum in München.
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