

26. November 2019 |
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Krisen- und Konfliktlagen wie die gegenwärtige Corona-Pandemie verstellen leicht die Sicht. Mitten im Sturm, in Zeiten, in denen scheinbar schnelle Lösungen zu finden sind, ist der Blick oft eingeschränkt, drängt es zur Handlung. »Wenn man sein Leben lang nur weiße Schwäne sieht, bedeutet das nicht, dass irgendwo nicht doch ein schwarzer existiert«, meinte der Philosoph Karl Popper einmal. Es kommt darauf an, sämtliche Schwäne zu sehen. Der Autor Nassim Nicholas Taleb hat diesen Gedanken aufgegriffen und 2007 sein Buch zur Finanzkrise mit dem Titel »Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse« (1) geschrieben. Darin bezeichnet er »Schwarze Schwäne« als Ereignisse, die
Der Krisenforscher Pat Lagadec ergänzte: »Die Fähigkeit, mit Krisensituationen umzugehen, hängt großenteils von den Strukturen ab, die man vor Eintritt des Chaos geschaffen hat. Man kann das Ereignis in gewisser Weise als spontane und brutale Prüfung betrachten: Mit einem Schlag wird alles, was man nicht vorbereitet hat, zu einem komplexen Problem und jede Schwäche nimmt plötzlich überdimensionale Ausmaße an. Die Krise führt zu einem Riss in der Abwehr und erzeugt eine Art Vakuum.« (2) Köln, Kandel, Chemnitz, Köthen, HalleGenau diese oben genannten Zustände und Prozesse begegnen uns heute in Kommunen und Kreisen, die von scheinbar neuen Problemlagen durch Extremismus wie Migration herausgefordert werden. Gerade die Polarisierungen in der Mitte der Gesellschaft um das Thema »Migration« haben vielfach zu aggressiven Kampagnen und auch Gewalt geführt. Insbesondere dann kam es zu massiven, längerfristigen Polarisierungen, wenn von der Gewalt oder Kriminalität von Geflüchteten berichtet wurde. Die unerwarteten Ereignisse im Rahmen des Attentats in Halle sowie der Ausschreitungen in Chemnitz, Köthen, Freiburg, Frankfurt und in vielen anderen Städten zeigen dies in aller Deutlichkeit. Der Umgang mit diesen Verbrechen, Vergehen und Übergriffen, an denen Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund beteiligt sind, hat erhebliche Auswirkungen auf den zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt in den betroffenen Kommunen und Kreisen. Diese Vorfälle finden hohes Interesse in Presse und Bevölkerung und stellen die Verantwortlichen vor Ort vor extreme Herausforderungen, weil mit einer einzigen Gewalttat eine ganze Serie von tieferliegenden Feindseligkeiten wie auch ungelösten Konflikten und mangelnden Kompetenzen der Konfliktlösung zum Vorschein kommt. Städte und Kommunen erhalten überregionale Aufmerksamkeit, wenn sie diese am wenigsten gebrauchen können: in der Krise. Schon die ersten Äußerungen von Verantwortlichen entscheiden häufig darüber, welches Bild im öffentlichen Diskurs weiterwirkt. Gleichzeitig werden vorhandene Widersprüche und Versäumnisse offenbar und verschärfen sich. Offene Gesellschaften und SchließungstendenzenDie offenen und direkten wie auch versteckten und indirekten Auseinandersetzungen vor Ort laufen vor dem Hintergrund zweier Entwicklungen, die dazu führen können, dass jeder einzelne Vorfall grundlegende und überregionale Bedeutung gewinnt. Auf der einen Seite wird die Integrationsarbeit in den Kommunen immer besser und effektiver organisiert, zumal sie auf einer erweiterten bundeseinheitlichen gesetzlichen Basis arbeiten kann. Genau diese positive Entwicklung steigert gleichzeitig aber auch das Konfliktpotential, weil andere diese Entwicklungen negativ beurteilen. Sehr gut beschrieben hat dies der Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani in seinem Buch »Das Integrationsparadox«. »Je besser Integration gelingt, umso stärker werden soziale Privilegien und kulturelle Dominanzverhältnisse in Frage gestellt. Es entstehen Abwehrreflexe.« Dieses Paradoxon wurde schon in den Niederlanden früh untersucht, denn dort ging die Idee einer multikulturellen Gesellschaft, in der Gruppen in ihren eigenen Säulen leben, nicht auf. Die Analyse von Konfliktkonstellationen macht deutlich, dass Konflikte in Räumen der Zivilgesellschaft weniger auf zunehmende oder eskalierende Spaltungen oder akute Krisen zurückzuführen sind, sondern mit den Strukturen zunehmender gesellschaftlicher Offenheit, die ein Zusammenwachsen und Sichnäherkommen ermöglichen. »Hieraus erwachsen Widerstände und Konflikte, die - wie immer - stärker wahrgenommen werden. ... Es geht also darum, wie wir mit den Konflikten umgehen, ob und wie wir es schaffen, die positiven Seiten eines Konflikts herauszufiltern. Es geht um die konstruktive Bewältigung von Konflikten.« (3) Aladin Mafaalani macht hier deutlich, was eigentlich für eine demokratische Gesellschaft üblich sein sollte: sich mit konstruktiver Konfliktregulation zu beschäftigen. Gefahren rechtspopulistischer und rechtsradikaler GruppenEine weitere Entwicklung erhöht das Konfliktpotenzial: Zunehmend haben es Kommunen mit Kampagnen und raumbezogenen Aktionen rechtspopulistischer und rechtsradikaler Gruppen zu tun, die diese Entwicklung stört und sie aktiv zu stören oder aufzuhalten suchen und sich darauf konzentriert haben, Extremereignisse im Integrationsprozess zu instrumentalisieren. Die Forschungen und langjährigen Untersuchungen des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld (IKG) zu raumbezogenen Konflikten und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit machen deutlich, dass dies kein plötzlich auftretendes Phänomen ist. Schon 2014 - also vor der Zuwanderung vieler Flüchtlinge - benennt die Studie »Fragile Mitte - Feindselige Zustände« die »Bruchstellen einer fragilen Mitte«. (4) In der Studie (5) werden vor allem zwei Punkte belegt, die eine Instrumentalisierung von Extremereignissen, bei denen Menschen mit Migrationshintergrund beteiligt sind, so wirkungsvoll machen:
Die Entwicklungen des Rechtsradikalismus in den vergangenen Jahren zeigen, dass die rechten Milieus eine ausgebaute und zunehmend professionalisierte Infrastruktur entwickelt haben, die sofort breit in Gang gesetzt werden kann, wenn ein extremes, unerwartetes Ereignis auftritt.
Kommunales Konfliktmanagement fördern»Zeiten des Umbruchs sind Zeiten der Mediation« formulierte der kürzlich verstorbene Mediator Joseph Duss von Werdt. (6) Mediation und Konfliktmanagement können in dieser Situation einen wichtigen Beitrag für Humanität und gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten. Möglich ist dies mit einem organisationsorientierten und systemischen Ansatz von Mediation. Denn die organisationsorientierte Mediation und ihre Anwendung im Systemdesign - der Entwicklung von Konfliktmanagementsystemen macht es möglich, in komplexen sozialen Systemen zu arbeiten. (7) Sie ermöglicht es auf der einen Seite, die Antwortfähigkeit und das Selbstentwicklungspotential in der Kommune zu erhöhen und auf der anderen Seite die Konfliktfestigkeit durch Bearbeitung dysfunktionaler Kommunikations- und Kooperationsmuster und die Implementierung von Strukturen und Verfahren zur Konfliktregelung zu stärken. Auf dieser inhaltlichen Basis hat das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert von der Stiftung Mercator 2017 ein Pilotprojekt »Kommunales Konfliktmanagement fördern: Teilhabe und Integration konstruktiv gestalten« gestartet. Durchgeführt wird das Projekt von der Landesweiten Koordinierungsstelle der Kommunalen Integrationszentren (LaKI) in Kooperation mit der Akademie der Ruhr Universität Bochum. (8) Im Verlaufe des Pilotprojektes haben sich drei Ansätze entwickelt, die das kommunale Konfliktmanagement Teilhabe und Integration ausmachen:
In der Kombination dieser drei Elemente entwickelt jede Kommune / Kreis ein jeweils eigenes Modell des Kommunalen Konfliktmanagements.
Literatur
Autoren Kurt Faller Gründer und Senior Consultant der MEDIUS GmbH, seit 25 Jahren selbstständiger Lehrmediator BMWA®, Organisationsberater
Prof. Dr. Andreas Zick Professor für Sozialisation und Konfliktforschung, Universität Bielefeld; seit 2013 Leitung des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung. Links 3-sat-Kulturzeit-Gespräch mit dem Sozialpsychologen und Konfliktforscher Prof. Dr. Andreas Zick über Steven Spielbergs Doku »Warum wir hassen« und die Ursachen von Hass und Gewalt. --> Link
Im 3-sat-Gespräch mit dem Sozialpsychologen Prof. Dr. Andreas Zick von der Universität Bielefeld über die Angst vor neuen Terroristen und Einzeltätern. --> Link
Fünf Stufen gegen Rassismus - Studiogespräch Prof. Dr. Andreas Zick, Konfliktforscher Universität Bielefeld
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